Es gibt Leute, welche die Anarchie als ideale Gesellschaftsform sehen. Wie eine solche konkret aussehen würde? Anarchie bedeute Herrschaftslosigkeit, heisst es. Jeder Mensch sei von Geburt an frei und würde nur durch ein regierendes, politisches System unterdrückt, weil er seine eigene Freiheit nicht begreifen würde. Gesetze, Vorschriften etc. brauche es eigentlich gar keine. Alles würde zwischen den direktbetroffenen Menschen auf der Grundlage des gesunden Menschenverstandes bilateral gelöst. Wenn man ein ungeschriebenes Gesetz nennen müsste, dann wäre es dasjenige des Rechts auf Eigentum auf selbst Erzeugtes, welches man dann auch mit Gewalt gegen andere verteidigen dürfe.
Das ist interessant. Weil die Herrschaftslosigkeit, d.h. ein Leben ohne politische Regierungskaste, auch die Konsequenz der sozialen Dreigliederung ist. Das 3-fache Autonomieprinzip wirkt sowieso, aber wenn es respektiert wird in der Ausgestaltung der gesellschaftlichen Institutionen, dann führt dies zu grösstmöglicher Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand. Wenn es negiert wird (wie heute zu grossen Teilen der Fall ist), führt es so allerlei sozialen Missständen.
Wieder zurück zu den Pro-Anarchie-Argumenten: Mir scheint die Aversion gegen Gesetze (d.h. gemeinsame Vereinbarungen) unbegründet. Dass Menschen untereinander Vereinbarungen treffen, ist ganz natürlich. Auch solche, die über den 2-Mensch-Horizont hinausgehen. Wie sonst will man Vereinbarungen treffen, die ein grösseres Gebiet betreffen? Die Krux liegt im Kleinen: Gesetze an sich sind nicht schlecht. Aber es gibt gute und schlechte Gesetze. Die soziale Dreigliederung gibt hier geniale Richtlinien/Prinzipien an die Hand, dies zu unterscheiden.
Auch das Recht auf Eigentum scheint auf tönernen Füssen zu stehen, weil auf die Frage nach dem Umgang mit Eigentum auf natürlichen Ressourcen gerne ausgewichen wird. Die natürlichen Ressourcen sind jedoch die Grundlage zum Leben und Arbeiten, woraus jegliches selbst Erzeugtes nur entstehen kann. Das Problem: Heute sind praktisch alle natürlichen Ressourcen vergeben. Jemand besitzt sie und nennt sie sein Eigentum. Irgendwie muss man den Umgang damit regeln, weil jeder Mensch Zugang zu diesen braucht. Auch hier hat die soziale Dreigliederung zahlreiche Lösungen bereit, welche nicht ideologisch besetzt sind, sondern wissenschaftlich begründet (so grundlegend wissenschaftlich, dass jeder gesunde Menschenverstand sie begreifen kann).
Mir scheint jedoch gerade das Argument des freien Menschen etwas komisch: „Man müsse nur endlich selbst begreifen, dass man frei ist.“ Das bedeutet aber im Kern, dass der Mensch sich ändern müsse. Es geht ja nicht um ein denkerisches, logisches Argument, sondern um einen inneren Entwicklungsprozess. Wenn man aber den Mensch ändern will, dann Gute Nacht. Dann sind wir dort, wo die Gesellschaft gerade hin rast: in die Unfreiheit. Der Mensch kann sich ändern, er tut es aber gewiss nicht dann, wenn man es von ihm fordert. Und wenn er sich ändern, dann meist nicht so, wie man es von ihm erwartet hatte.